Archiv der Kategorie: Alltag

Wazifubo

Früher, als Twitter noch Twitter war, gab es da diesen Hashtag. #wazifubo

Ich hätte jetzt ein hübsches Bild von einem einigermaßen hübschen Wartezimmerfußboden hochladen können. Wenn das Internet in der Notaufnahme nicht so grottig wäre.

Das Kind ist jetzt im OP. Jetzt kann mein Hirn verrücktspielen, oder?

Er wollte etwas holen, ist von der Hochebene gerutscht und 2 Meter tiefer mit der rechten Seite voranauf dem Fliesenboden gelandet. Dabei hat er sich derart das Handgelenk gebrochen, dass jetzt alles verschoben ist. Es wird wieder eingerenkt und mit zwei Drähten fixiert.

Leider ist er beim Sturz auch gegen eine Lampe geprallt, die Plastikummantelung des Schwenkarms ist gerissen und ein etwa 3cm langes Stück Plastik hat sich quasi senkrecht in die Haut über seinem Kniegelenk gebohrt. Der Anblick, wie ich das scheiß blutige Plastik aus meinem Kind zog, wird mich noch lange verfolgen. Das wird während der OP genäht.

Der Funktionsmodus kickte hart, solange das Kind bei mir war. Ich hab noch im Auto der Schulassistenz eine Nachricht geschickt und das Kind entschuldigt. Ebenso sind beide Schulen informiert, dass hier erstmal keiner zur Schule geht. Ich habe vor der Abfahrt den Ehemensch gebeten, eine Tasche zu gepacken mit Wechselkleidung für das Kind, Schokolade, etwas zu trinken, dem Buch, das ich ihm gerade vorlese. Sogar mein Handyladegerät habe ich mitgenommen, aber die verdammten Masken habe ich vergessen. Und dann sitzt du halt ohne Maske im Wartebereich, neben dir kotzt ein baby, 3 sitze weiter trinkt ein teenie etwas pissgelbes aus einem becher mit strohhalm und irgendwer hustet ständig. Ach ja, und mein Auto steht im Parkverbot, glaube ich.

Im Auto wären Masken, aber meine Amygdala ließ mich nicht rausgehen, ich hätte ja gerufen werden können in der Zwischenzeit. War dann aber auch gut, dass ich nicht gegangen bin, denn jetzt sitz ich wenigstens in einem ruhigen Zimmer und nicht mehr zwischen kotzenden Menschen.

Oh, die Freuden des Krankenhauses.

Roller-Coaster Day

Today was another rollercoaster day. There was an appointment with my son’s PA and the youth welfare office lady which was okay-not-okay, the welfare lady finally realized that my son really does need a PA. But it really put a damper on my mood to hear what kind of things my son needs help with. really, really big ooooooofz

Also, three people talking me into saying that „parental support“ would be really great for my child, but that unfortunately it only works from the age of 12, didn’t really help moodwise. Also they think that I need to make sure that he does more things in his free time that don’t take place at home. This idea of ​​the young man taking him to play soccer has already gone wrong once, and badly. 2 years ago I asked the youth welfare office for help and said clearly that I needed a household helper and/or a transport service and/or someone to take the children off my hands. Yeah, it didn’t work. Instead of a domestic helper, we were sent a parenting assistant who recommended aromatherapy when she realized that she was actually superfluous. So week after week, someone came to our house, stayed in all the rooms, including all the bedrooms (including our parents‘ bedroom), criticized me for comforting my daughter when she fell down a high slide, strongly questioned the decision to accept the child as it is and not to question both diagnoses and gender identity, and constantly recommended new medical examinations (because they didn’t like the child and adolescent psychiatrist who was accompanying us) and that I should forbid the child from being itself in certain living spaces.

Then I hurried to pick up my daughter. rushed to her therapy, hurried to pick up my son (and bought both of them lunch), hurried back to therapy to wait until therapy ends, made sure my son did his homework meanwhile, rushed home with both kids, made sure my son was ready for his vaccination (we numb the area to be vaccinated with a cream), took him to the doctor, prepared to hold a 50 kilo screaming boy as tight as I can and was TOTALLY surprised that he was absolutely easy with the needle today and didn’t even flinch. And when I was home, I saw a whatsapp from the PA, if the appointment was okay for me today and my mood was like „well no, not really, it doesn’t help to listen people talking an hour long about stuff he can’t do, stuff you think I have to do and thinking about stuff I actually do to make things better for everybody in this family and the feeling that it won’t ever be enough but hey, thanks that you asked“ – and I obviously didn’t wrote it back to her.
So, I was feeling pretty exhausted (no wonder, 3 hours of sleep really isn’t enough), had dinner, put the kids to bed and then I saw the email from the school I had applied to. The class teacher had spoken to the parents, whose kid needs a PA and they were happy that I could imagine doing the Job, so now they want to get to know me on Friday. And now the rollercoaster is going up again – maybe everything will turn out well in the end.
(Welcome to a rather normal day in my life.

Jonglage

Ich funktioniere. Eigentlich bin ich erstaunt, dass ich nicht längst zusammen gebrochen bin. Aber, ich funktioniere. Natürlich. Irgendjemand muss es ja tun.

Der Herzmensch ist zu 70-80% bettlägerig. Normales Familienleben ist zuviel, wenn die Kinder spielen, lachen, rangeln bereitet die Geräuschkulisse hen körperliche Schmerzen, die sich teilweise lebensbedrohlich anfühlen. Um dem zu Entgehen und damit die Kinder eben weitestgehend Kinder bleiben können, zieht der Herzmensch sich zurück. Hen liegt erschöpft im Bett, schläft oder ruht sich aus. Um wenigstens fit genug zu sein, wenn ich mit dem Großen bei dessen Therapien bin. Ich kann das Gnöm dann nicht mitnehmen, also sitzt es neben Papa, die Haustür ist abgeschlossen und Gnöm spielt Tablet. An guten Tagen kann Papa auch MauMau mit dem Kind spielen, an den meisten Tagen geht das nicht.

Wir haben Sonntag endlich über den Elefanten gesprochen, der hier alles kaputt trampelt. Haben Ängste ausgesprochen, die so bedrohlich real zu werden scheinen. Der Große hat Angst, dass Papa noch viel schlimmer krank würde und macht bereits Pläne, wie wir unser enges Reihenhaus barrierefrei gestalten können. Treppenlifte, Rollator, Rollstuhl, Duschstuhl, was brauchen wir denn alles? Das Kind verbalisiert diese Ängste leider nicht wirklich, wollte auch Sonntag  nicht darüber sprechen. Stattdessen hat er undefinierbares Bauchweh und Kopfschmerzen, wenn er zur Schule soll, lässt sich früher abholen und ist heute gar nicht in der Schule. Er sitzt auf dem Sofa, strickt, spielt Switch und hört Hörspiele. Das Kind hat viel Angst, macht sich Sorgen um Papa und um sich und um die Klimakatastrophe und ich bin sehr froh, dass er in Therapie ist, auch wenn ich nicht verstehe, wie Tennis spielen und Musik machen ihm helfen soll. Aber es wirkt. Irgendwie.

Das Gnöm versucht, sehr tapfer zu sein und nicht zu weinen. Er kam gestern zu mir und sagte, er wünschte, er könne die Zeit zurück drehen. Ja Gnöm. Ich auch. Er hat große Angst, dass ich auch noch krank werde. Glücklicherweise kommt er gut in der Kindergartengruppe an (das war letztes Jahr sehr schwierig aufgrund von Mobbing durch die großen Kinder, die jetzt in die erste Klasse gehen) und erzählt mir täglich, mit wem er Freundschaft geschlossen hat. Mal sehen, wie lange er noch am Kindergarten teilnehmen darf – die Elterninitiative kämpft um eine neue Betriebserlaubnis und hat schwere Auflagen vom Amt bekommen. Ich werde mich aufgrund der ASS-Diagnose des Kindes jetzt also mit dem (sehr uneinsichtigen) Vorstand, dem paritätischen Dienst und dem Jugendamt auseinander setzen müssen. Eine Vorwarnung gab es nicht, dass es so ein Gespräch eventuell geben müsse, dass sei „nicht Aufgabe der Erzieherin“ und jetzt weiß ich auch nicht. Ich bin kurz davor, das Gnöm aus dem Kindergarten zu nehmen, aber Wut ist selten ein schlechter Ratgeber.

Und ich bin wütend. Rotglühend, destruktiv, abgrundtief wütend. Auf den Kindergarten, auf den Vorstand, auf die Menschen, die seit zwei Jahren dem schleichenden Verfall meines Herzmenschen zusehen und dennoch nicht betroffen genug sind, um eine Maske zu tragen. Menschen, die kurz nach überstandener Covid-Infektion auf den Freimarkt gehen, die sich wissentlich positiv ins Flugzeug setzen, die einsichtig genug sind, um zuzugeben, dass sie in Innenräumen eine Maske tragen sollten, aber es einfach nicht tun, weil es ihnen offenbar egal ist. Ich bin wütend, dass ich immer und immer wieder die Situation des Herzmensch erkläre und es niemanden zu kümmern scheint. Ich bin wütend auf die Therapeutin, die mir in den Stunden mit Teebeutelweisheiten kommt, bis in mir alles höhnisch lacht und sie als inkompetent wahrgenommen wird, die Wechsel als „sie können sich ja doch beruhigen“ deutet und nicht zu verstehen scheint, dass hier eine anp am Werk ist, die sich um alle kümmert und deren Wut immer weiter wächst.

Aber da es nunmal gesellschaftlich verpönt ist, Menschen auf der Straße zu verprügeln oder gegen Autos zu treten (wenn man nicht gerade so ein Baseballschläger – Schrottplatz – zertrümmer das Auto Event macht), richtet sie, richte ich diese Wut gegen mich selbst. Und bin selbst darin noch hochfunktional. Ich nehme meine Tabletten und habe das AD sogar erhöht. Ich schlafe wenig bis gar nicht, habe aber ein bis zwei Tage in der Woche, in denen ich spätestens um 21 Uhr einfach umfalle und schlafen gehe. Tägliche Bedürfnisse wie duschen werden vernachlässigt.  ich rauche zu viel und gebe dafür den Gedanken an Alkohol nicht nach. Ich esse zu wenig, aber genug, um den „hunger dich auf 50kg runter“ Stimmen in meinem Kopf nicht nachzugeben. Ich organisiere. Unser Leben, E-Mails, den Alltag, den Haushalt, meine Wut, meine Selbstzerstörung. Und ich organisiere gut.

365

Seit nunmehr 40 Jahren spielt Alkohol in meinem Leben eine Rolle. Aufgewachsen mit einem trinkenden Vater, der eine Flasche Jägermeister brauchte, um überhaupt aus dem Bett zu kommen und einem nicht weniger trinkenden Großvater war es keine Seltenheit, dass beide sich in die Haare bekamen, wer wem den Stoff weggesoffen habe. Harsche Worte und Schlägereien inklusive. Ich erinnere mich an eine zersplitterte Glastür und ein gebrochenes Bein, an Flaschenverstecke in Stiefeln und Samstagnachmittage in der Kneipe, wo ich bettelte, dass mein Vater nach Hause käme. Ich erinnere mich an fliegende Teller beim Abendbrottisch und wie stolz ich war, dass mein Vater an meiner Kommunion an meiner Seite war, ausnahmsweise nüchtern. Woran ich mich nicht erinnere, sind die Schläge durch meinen Vater und das gewürgt werden von meinem Großvater, der wahrlich ein verbitterter bösartiger alter Mann war.

Als ich auszog, geriet ich an einen anderen Süchtigen. Er holte sich seinen Kick nicht durch Alkohol, sondern durch Klauen. Alle meine Partner hatten das eine oder andere Suchtproblem, Nikotin, Drogen, Alkohol, Spiele, Sex, Adrenalin. Dann kam mein Ehemensch, ebenfalls Kind einer Alkoholikerfamilie. Hen trank, seit hen Jugendlicher war und hatte das Suchtproblem erkannt. Hen schaffte es weg vom täglichen Trinken, doch es blieb Thema. Bei uns beiden.

Wie schnell war das Feierabendbier zum runterkommen auf dem Tisch oder das Gläschen Wein zum Entspannen? Bei uns ging das schneller, als uns lieb war. Immer mal wieder zogen wir die Reißleine, machten Pausen, sagten, so geht das nicht weiter. Immer wieder fingen wir irgendwann wieder an. Einmal ist keinmal? Doch. Bei Sucht schon. Letztes Jahr im August standen in meinem Zimmer gute 15 leere Flaschen Wein herum und ich trank täglich. Oft schon vor 16 Uhr und teilweise auch ohne den Umweg über das Glas zu nehmen. Ich beschloss, dass es so nicht weitergehen könne. Und so kam es, dass ich vor 367 Tagen eine wirklich sauteure Flasche Wein kaufte. Vor 366 Tagen, an meinem 40. Geburtstag, stießen wir also mit diesem Wein an, auf mich, meinen Geburtstag und ein Leben ohne Alkohol. Und dann hörte ich auf. Und jetzt bin ich seit fucking 365 Tagen ohne Alkohol. Nicht ohne den Gedanken daran, nope. Aber ich trinke nicht mehr. Denn so eine Kindheit wie meine sollen unsere Kinder nicht haben.

Bestandsaufnahme

Die Ferien sind vorbei und wir sind wieder mitten im Alltag.

Zwischen Schule, Therapie und Kindergeburtstagen hält der Herbstzwerg sich super. Seine Klassenlehrerin hat ihm einen Einzelplatz ganz weit vorn gegeben, etwas abseits von all dem Trubel der Klassengemeinschaft und durch seinen besten Freund abgeschirmt, der hinter ihm sitzt. Ich mag die Frau einfach, die ist wirklich sehr lieb und bemüht. Der Sohn wächst über sich hinaus, fährt alleine Rad, entdeckt die Welt, traut sich, nein zu sagen, auch wenn zig Kinder neugierig auf ihn gucken. Der Besuch im Kletterwald Anfang der Woche hat ihm Selbstvertrauen gegeben und es war sicher nicht das letzte Mal, dass wir da waren.

Das Gnöm wird in nicht ganz vier Wochen fünf Jahre alt. Ob die Schwierigkeiten, die er im letzten Jahr im Kindergarten hatte, so weitergehen, wird sich zeigen. Ich denke, es ist viel Ärger schon allein deshalb weg, weil keine gelangweilten Vorschulkinder mehr da sind, die sich die Zeit mit Mobbing vertreiben. Er gehört jetzt selbst zu den drei ältesten, auch wenn er erst in zwei Jahren zur Schule gehen wird. So hat er genügend Zeit, soziale und emotionale Kompetenzen aufzubauen und wird in seiner späteren Klasse auch nicht der jüngste sein. Am Montag geht der Schwimmkurs für ihn los, das wird spannend.

Dem Seelenmensch geht es weiterhin durchwachsen. Mal ist es gut, mal schlecht. Das tückische ist, dass hens Leistungs- und Erschöpfungslevel nicht konstant ist, sondern minütlich schwankt. Im Oktober haben wir Beratungstermin beim Sozialverband bezüglich eines Rentenantrags, vorher ist leider nichts zu machen. Schön ist, dass sich hens Einstellung zum Hund geändert hat. Der Fluff ist nicht mehr nur meinetwegen geduldet, sondern als vollwertiges Familienmitglied akzeptiert und das bringt eine Veränderung der Beziehung zwischen den beiden mit sich, die sehr schön zu beobachten ist.

Insgesamt ist es gerade einfacher. Die Kinder halten sich gut, die Geschwister-Beziehung hat sich stabilisiert. Natürlich streiten sie, aber gerade der Große lehnt das Gnöm nicht mehr überwiegend ab. Es ist spürbar, dass drei von vier Familienmitgliedern in Therapie sind, es verändert sich etwas hier und das fühlt sich nicht schlecht an.

Ich selbst – nun ja, die Tür nach innen ist wieder einen Spalt breit zugegangen. Ich hab das Gefühl, da ist wieder die gewohnte ANP am Werk, schnörkellos, kümmernd, ohne Ich-Beziehung. Deckel drauf, Tür zu, wie auch immer. Auf Dauer für mich nicht so geil, aber so läuft zumindest der Alltag hier. Hm. Ich knüpfe neue Bekanntschaften, vertiefe alte Bekanntschaften und warte mal ab, was da noch kommt.

Taub

„Haben Sie studiert?“ fragt der Kinder und Jugendpsychiater mich. Wir sitzen zusammen und unterhalten uns über die Diagnostikergebnisse des kleinen Kindes. „Ja, Germanistik und Religionswissenschaft.“ „Ach,“ er legt den Kopf schief und deutet ein Lächeln an, „das ist interessant. Glauben Sie an Gott?“

Ich halte das Kichern zurück, dass in meiner Brust kribbelt. Es würde hysterisch klingen, verzweifelt. Es ist zuviel passiert, möchte ich antworten. Ich habe meinen Glauben lange retten können, über die Baby- und Kleinkindjahre mit dem großen Kind, die so unfassbar schwierig waren, über die Zeit, als unsere Gemeinde sich auflöste und ich geistig heimatlos wurde, über drei Jahre voller Angst, während wir auf das Urteil des Gerichts warteten, als die Ex meines Ehemenschen hen fälschlicherweise wegen Vergewaltigung in schwerem Falle angezeigt hatte. Es sind viele Dinge passiert, die mich taub werden ließen gegen Gottes Stimme, bis ich ihn schließlich nicht mehr hörte. Jahre voller Angst, Erinnerungen und Depressionen, Jahre voller Orientierungslosigkeit und ohne Hoffnung. Die alte Theodizeefrage, nur bin ich nicht Hiob und habe kein neues Leben.

„Nicht mehr.“ sage ich mit fester Stimme.