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Ein Brief

Ich denke in letzter Zeit viel an Sie. Frage mich, wie es Ihnen wohl geht, wo Sie sind, ob Ihnen bewusst ist, welches Leid Sie über meine Familie gebracht haben.

Vor zwei Jahren bat ich meinen Partnermenschen, mir doch bitte schnell xy aus dem Laden zu holen. Ich war gerade dabei, ein Zimmer in unserem hübschen Reihenhäuschen zu sanieren, Sie wissen schon, Teppich raus, Laminat rein, streichen, Tür abschleifen etc. Nebenbei plante ich den siebten Geburtstag unseres älteren Sohnes, den dritten Geburtstag des Kleinen hatten wir gerade gefeiert. Der Vater meiner Kinder ging also schnell zum Laden, setzte wie gewohnt eine Maske auf, desinfizierte sich die Hände und hielt Abstand von anderen. Es war Oktober 2020, nicht ganz ein Jahr davor waren erste Berichte einer ominösen noch unbekannten Lungenkrankheit aufgekommen. Ein halbes Jahr davor, im März 2020, hatte der Arbeitgeber meines Partnermenschen beschlossen, alle Mitarbeitenden ins Home Office zu schicken. Zu groß die Gefahr der Ansteckung mit Covid19, sie wollten ihre Leute schützen. Zwei Monate vor dem besagten Tag im Oktober feierten wir die Einschulung unseres Sohnes in extrem kleinen Kreis, alles war möglichst pandemiegerecht gestaltet, um die Ansteckungsgefahr für alle so gering wie möglich zu halten. Masken, Desinfektionsmittel und Tests zogen in unseren Haushalt, wurden Teil unseres Alltags und sogar der dreijährige begriff, wie wichtig das war, wir hatten ihm den Übertragungsweg der Aerosole mittels Glitzerpuder gezeigt. Wir taten alles nötige, um uns und unsere Mitmenschen zu schützen. Nicht ängstlich, sondern mit Verstand.

Im Oktober 2020 also, kurz vor dem siebten Geburtstag des Großen, ging der Vater der Kinder einkaufen. Nur schnell, nur eine Kleinigkeit. Er traf Sie an der Kasse und Sie stellten leider genau den Typus Mensch dar, der später in den sozialen Medien Covidiot genannt wurde. Maskenlos, ohne Abstand und ohne Anstand, wie sich zeigen würde. Sie warteten hinter meinem Partnermenschen an der Kasse, drängelten und hielten die vorgeschriebenen 1.5 Meter Abstand nicht ein. Als Sie höflich gebeten wurden, zurück zu treten, der Abstandmarker befinde sich etwa einen Meter HINTER Ihnen, traten Sie einen Schritt auf meinen Partnermenschen zu und sagten: „Stellen Sie sich nicht so an. Diskutieren Sie hier mal nicht mit mir, ich bin doch nicht Ihre Frau!“ Der Vater meiner Kinder sah Sie an, erwiderte „Ich bin sehr froh darüber, meine Frau weiß, wieviel 1.5 Meter sind!“, zahlte den Einkauf und ging. Drei Tage später lag hen hustend im Bett. Am 18. Oktober 2020 wurde ein PCR Test gemacht, nachdem ein Selbsttest positiv ausfiel. Vier Tage später zog ich mit den Kindern ins Wohnzimmer, wir isolierten den Papa unterm Dach und der siebte Geburtstag des Großen fiel ins Wasser. Es war Corona und Sie hatten meinen Partnermenschen damit angesteckt. Wir wissen das deshalb so genau, weil wir vorher bereits zurück gezogen gelebt hatten, die Kinder hatten Herbstferien und waren daheim, alle Tests von uns waren negativ bis auf den meines Partnermenschen und außer beim Einkaufen trafen wir keine anderen Menschen.

Sie hatten das Virus also weitergegeben. Vermutlich wussten Sie es nicht einmal, eventuell aber doch und es war Ihnen egal, Covid19 ist ja schließlich nur eine laborgemachte Erkältung, ein harmloser Virus, nicht wahr? Wissen Sie, was Sie damit verbreitet haben? Welches Leid hier herrscht? Wie viele Feste und Geburtstage Sie meinen Kindern damit genommen haben? Wieviel Lebensqualität meinem Partnermenschen? Dass Sie unsere Familie damit nachhaltig zerstört haben? Nein. Nein, das wissen Sie nicht, woher auch. Der siebte Geburtstag des Großen, Ostern 2021, der vierte Geburtstag des Kleinen, der achte Geburtstag des Großen und dann kam Weihnachten 2021 und der Papa war nicht einmal da. War in einer Reha und es war fraglich, ob wir wenigstens Silvester zusammen würden feiern können. Keine Sommerausflüge an den See, keine Playdates zu Hause, nicht einmal ein gemeinsames Geburtstagsfrühstück ist mehr drin. „Papa geht es nie mehr besser!“ sagte der fünfjährige erst kürzlich und er hat Recht. Aus dem Virus, den Sie durch Egoismus, Unbedachtheit oder Naivität meinem damals 35jährigen, sportlichen, fitten Partnermenschen angehangen haben, wurde LongCovid. Aus LongCovid wurde ein chronisches Erschöpfungssyndrom. In zwei Wochen wird hen 37. Wir werden den Geburtstag nicht feiern können, denn schon das Bett verlassen, aufrecht sitzen oder auch nur Vogelzwitschern und gleichzeitiges Kinderlachen sorgen dafür, dass sich der Zustand dieses ehemals fitten Menschen verschlechtert. Anfang der Woche habe ich hen rasieren müssen, weil dieser ehemals starke Mensch, der eigentlich ein Fels in der Brandung war, nicht dazu in der Lage war. Der Weg zu uns ins Wohnzimmer ist ein Tagesausflug, 10 Minuten später muss hen wieder gehen und sich hinlegen, mit Schwindel und schmerzender Brust.

Wissen Sie, was das mit uns allen macht? Wieviel Angst wir haben? Wieviel Kraft ich aufbringen muss, um hier nur ein viertel des gewohnten Alltags laufen zu lassen? Wie sehr uns das zerstört? Nein. Wissen Sie nicht. In letzter Zeit frage ich mich häufig, wo Sie sind. Wie es Ihnen geht. Aber ich glaube, ich will es gar nicht wissen.

10

Mein Herz.

Ich sehe dich und den Weg, den wir hinter uns haben und kann nicht fassen, was wir alles überstanden haben.

Du hast fünf Jahre lang auf mich gewartet. Mich lieber „glücklich mit anderen als unglücklich allein“ gesehen. Ich habe fünf Jahre gebraucht, um zu verstehen, wer du bist. Meine Sicherheit. Du bist gleichermaßen der Fels in der Brandung und der Sturm, der mich aufwühlt. Bist Motivator, Partnerin, Versorger, Liebende, die Palme, auf die ich bei Wut klettere und das Sicherheitsnetz, dass mich beim Sprung fängt.

Als wir unsere Ehe begannen, wurde uns gesagt: Ehe besteht aus zwei Egoisten und der Herr steht in der Mitte und hält sie zusammen. Wir sind unsere eigenen Herren. Wir halten unsere Ehe zusammen, gegen alle Widrigkeiten und jedem Sturm zum Trotz. Dieses Band, dieses silberne Band von Herz zu Herz, es ist noch immer da. Manchmal sehr dick, manchmal bis zum Zerreißen gespannt. Aber da. Immer.

Es hielt uns zusammen, als ich nach gerade mal sechs Monaten Ehe den Brief der Kriminalpolizei aus der Post fischte. Es hielt uns die folgenden drei Jahre zusammen, in denen die Falschaussagen und die Anzeige deiner Ex drohend über uns schwebte.

Es hielt uns zusammen, als wir mit einem Schreibaby in einer feuchten Wohnung lebten, in der uns das Sofa buchstäblich unter dem Arsch verschimmelte.

Es hielt uns zusammen, als unsere Gemeinde zerbrach, wir geistig heimatlos wurden und ein Bruch durch unseren Freundeskreis ging, der bis heute nicht ganz geheilt ist.

Dieses Band, es hielt uns zusammen, als du auf deine Tochter verzichtet und drei Nervenzusammenbrüche erlitten hast, hat sämtliche depressiven Episoden meinerseits überstanden und hielt auch dann, als ich im 8. Monat schwanger war und vom Dach springen wollte.

Es hielt auch über Pronomenwechsel und Geschlechterunsicherheiten hinaus. Es ist da. Und auch, wenn es nach diesen letzten zwei Jahren mit chronischem Erschöpfungssyndrom und einer möglichen pDis ausgefranst und fast zerfasert wirkte, hielt es.

Vor zwei Wochen dachte ich, wir schaffen es nicht. Als du sagtest, dass ich nicht wieder kommen brauche wenn ich jetzt ginge, als wir uns wie die Kesselflicker stritten, Türen und Geschirr flogen und ich mich nach möglichen Scheidungsanwälten umsah.

Man sagt, das siebte Jahr einer Ehe sei das härteste. Wir sind bei 7+3. Und aufgeben war noch nie mein Ding.

Und manchmal entscheide ich mich eben stündlich neu für dich. Du bist mein Herz, mein Seelenmensch, Geliebte und beste Freundin. Begleitung auf diesem Weg, den ich ohne dich nicht gehen will.

Ich liebe dich. ❤️