„Und wo ist ihr Ärger?“ fragte mich gestern die Therapeutin von K1. Ganz sanft fragte sie, sie wollte es ehrlich wissen.
Wo der ist. Wo der ist. Ich schwanke zwischen weinen und hysterisch lachen.
Ich lebe mit zwei Kinder zusammen, die einen Fick auf soziale Gepflogenheiten geben. Die den Sinn hinter manchen Regeln einfach nicht verstehen und aber nur das tun und als sinnvoll erachten, was sie verstehen. Gemeinsame Mahlzeiten z.B. sind grundsätzlich ein Kampf, weil K1 die soziale Komponente von „gemeinsam essen“ nicht versteht, es ihm zuviel ist und er keinen Sinn darin sieht.
Auch so etwas wie „Individualdistanz“ oder „Respekt vor dem Eigentum anderer“ ist meinen Kindern mehr oder weniger völlig fremd. Was K1 aus purer Angst vor dem Leben und den Tücken des sozialen Miteinanders zuviel an Distanz aufbaut, hat das Gnöm zu wenig. Wenn das Kind nicht gerade hinter mir herrennt und mein Shirt als Serviette benutzt, sitzt es auf seinem Hochbett und zieht die Tapete von der Wand. Oder es malt im Wohnzimmer die Wände an oder schält die Tapete mit einem Messer von der Wand, wenn ich nicht schnell genug bin. Ist die Haustür nicht abgeschlossen, rennt es kichernd einfach weg. Oder es steht so wie heute im Vorgarten und pinkelt in die Büsche. Ich kann mich glücklich schätzen, dass es dieses mal nicht das Sofa getroffen hat. Von Kleidung halten beide Kinder generell wenig.
Während ich also mehr oder weniger den lieben langen Tag das Gnöm vom Blödsinn machen abhalte und ihn zum „aufs Klo gehen“ anhalte, sitzt K1 in seinem Zimmer, füllt Wasserbombe um Wasserbombe und leert diese dann aus dem offenen Fenster auf den Weg wieder aus. Vielleicht trifft es ja ein paar Passanten, wäre doch lustig? Auf jeden Fall trifft das Kind dabei seine Kommode, die voller Elektrogeräte steht. Und seine Matratze, die damit triefend nass ist (und wenn ich triefend sage, meine ich auch triefend), zwei bis drei T-Shirts, ein großes Handtuch und den Teppich.
Ich erkläre Regeln, rede mir den Mund fusselig, lasse die Kinder wiederholen, was ich gesagt habe, halte sie zum Aufräumen an, motze rum, maule sie an, setze Grenzen und es interessiert sie gefühlt einen Scheiß. Weil sie den Sinn dahinter nicht verstehen, weil sie nur tun, worin sie Sinn sehen, weil sie entweder antworten mit „ich hab das gar nicht gemerkt Mama“ oder mit „Oh. vergessen.“
Wo mein Ärger ist? Ich sehe ihn in den Augen des großen Kindes, wenn es „ja Mama, entschuldige Mama, mach ich Mama“ murmelnd vor mir flüchtet. Ich sehe ihn in meiner geballten Faust, wenn das Gnöm mir wieder einmal die Hand in den Ausschnitt steckt und er mich dabei triggert. Ich merke ihn in zusammengebissenen Zähnen, steinharten Schultern, schlaflosen Nächten, in Tränen und Schlägen auf das Lenkrad, wenn ich mal allein im Auto bin. Und in dem Satz: „Ich gehe jetzt, bevor ich dich anschreie.“